Gerechtigkeit

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    Lateinamerikanische Verhältnisse in Deutschland?

    Kein Thema bewegt die Deutschen so sehr wie die Frage der Gerechtigkeit. Sie hat laut einer im Sommer 2007 veröffentlichten „ Geo“-Studie alle anderen politischen Probleme in den Hintergrund gerückt. Noch vor den Reizpunkten „Innere Sicherheit und Terrorismus“, „Arbeitslosigkeit“ oder „Gleichberechtigung“ ist Gerechtigkeit das bestimmende politische Thema. 85 Prozent aller Befragten geben an, „oft“ oder „manchmal“ darüber zu diskutieren.

    Negativrekord in Sachen Gerechtigkeit

    Die Deutschen sind sich einig: Einkommen und Vermögen sind unfair verteilt. 82 Prozent der Befragten empfinden die sozialen Verhältnisse als ungerecht. Die Zukunftsangst hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Der überwiegende Teil der Bevölkerung ist überzeugt, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergehen wird. Die jüngsten statistischen Daten bestätigen die subjektive Wahrnehmung. „Soziale Ungleichheit ist eine Tatsache“ , heißt es im aktuellen Armutsbericht der Bundesregierung. Die wohlhabendsten zwei Prozent der deutschen Haushalte verfügen über 30 Prozent des Gesamtvermögens, die ärmsten 50 Prozent müssen sich dagegen mit knapp fünf Prozent begnügen. Deutschland hat es zu einem Negativrekord in der OECD gebracht: In keinem anderen westlichen Industrieland driften die Einkommen zwischen Niedriglöhnern und Spitzenverdienern so schnell auseinander. Inzwischen gilt fast ein Fünftel der Bevölkerung als arm. Am stärksten betroffen sind Arbeitslose, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderung und Migranten. Besonders deutlich ist der Anstieg der Kinderarmut. Doch auch dem Durchschnittsbürger droht zunehmend der Absturz: „Armut ist kein Randphänomen, sondern gefährdet auch die Mitte unserer Gesellschaft“, ist im Armutsbericht zu lesen. Am anderen Ende der Skala wachsen die Vermögen privater Haushalte weiter und erreichen inzwischen eine Summe von mehr als fünf Billionen Euro. Das entspricht im Durchschnitt aller Haushalte 133.000 Euro. Allein von 1998 bis 2003 stieg das Nettovermögen nominal um 17 Prozent.

    Macht Ungerechtigkeit krank?

    Arme Menschen sterben in Deutschland deutlich früher als wohlhabende. Männer mit niedrigem Einkommen haben eine um zehn Jahre geringere Lebenserwartung als gut verdienende Männer. Bei Frauen liegt der Unterschied bei fünf Jahren. Jugendliche aus armen Familien haben ein doppelt so hohes Risiko, an Essstörungen zu erkranken, wie ihre Altersgenossen aus wohlhabendem Hause. Herzinfarkte und Diabetes bei Menschen mit niedrigem Einkommen treten doppelt so häufig auf wie bei denen, die gut verdienen. Die Gründe sind vielschichtig: Experten gehen davon aus, dass Arme medizinische Leistungen wegen Praxisgebühren, Zuzahlungen oder aus Unkenntnis weniger in Anspruch nehmen als Besserverdienende. Daneben wirken sich Bewusstsein und Verhalten auf die Häufigkeit von Erkrankungen aus. Menschen aus sozial schwächeren Schichten rauchen häufiger und trinken mehr Alkohol, sie nehmen seltener an Vorsorgeuntersuchungen teil und ernähren sich ungesünder, ihr Bewusstsein für gesundheitliche Belange ist geringer (Quelle: taz).

    Mythos Chancengleichheit

    Chancengleichheit ist nach Meinung der Deutschen die wichtigste Vorraussetzung für Gerechtigkeit. Solange jeder die gleiche Ausgangsposition hat, sei es auch gerecht, wenn einige mehr Geld verdienen als andere, befinden rund 75 Prozent. Doch genau dies scheint immer weniger der Fall zu sein. Weniger als ein Drittel der Deutschen glaubt noch an Chancengleichheit, was Selbstverwirklichung und sozialen Aufstieg angeht. Eine entscheidende Voraussetzung für Gerechtigkeit ist Bildung. Nur wenn alle über die gleichen Startchancen verfügen, können gesellschaftliche Schranken überwunden und unfaire Strukturen beseitigt werden. Die Überzeugung, Deutschland verfüge über eines der gerechtesten Bildungssysteme der Welt, hat spätestens die PISA-Studie 2001 eindeutig widerlegt. Was die Chancengleichheit angeht, gilt das deutsche Bildungswesen als das unfairste aller OECD-Länder. Weit stärker als die individuelle Leistung bestimmt der soziale Status der Eltern die Lebensperspektiven der Kinder. So hat ein Sohn einer Friseurin eine siebenmal geringere Chance, das Gymnasium zu besuchen, als der Sohn eines Arztes. Die Errungenschaften der großen Bildungsreformen der 1960er und 1970er Jahre, die den unteren Einkommensgruppen erstmals die Türen zum sozialen Aufstieg öffneten, haben sich inzwischen ins Gegenteil umgekehrt. Der Anteil der Arbeiterkinder, die in die Mittelschicht aufsteigen, sinkt seit 1990 wieder.

    Beispiel Lateinamerika

    Die OECD hat 2003 in einer Studie detailliert nachgewiesen, dass Ausbildung Wachstum bringt. Je ungerechter eine Gesellschaft, desto geringer sind ihre Zukunftschancen. Ein immer größerer Teil der Bevölkerung bleibt zurück, immer kleiner wird die Binnennachfrage, immer niedriger das technische und wissenschaftliche Know-how. Hat die Abwärtsspirale auch Deutschland erreicht? Drohen uns gar Verhältnisse wie in Lateinamerika? Auf keinem anderen Kontinent sind Vermögen und Zukunftschancen so ungerecht verteilt wie in dem an Rohstoffen und Potential so reichen Lateinamerika. Nirgends stehen sich Prunk und Armut, Hightech und Unterentwicklung, westlicher Lebensstil und indigene Tradition derart unvermittelt gegenüber. Die Folgen sind Politikverdrossenheit und ausufernde Korruption, Verelendung ganzer Bevölkerungsschichten, Ghettobildung in den Städten und die mit Abstand höchsten Mordraten der Welt. Das dürfte auch Industrienationen wie Deutschland als abschreckendes Beispiel genügen.

    Text: Michael Brücker

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